Eschaton—Anselm Kiefer Foundation
Photograph of Valie Export

Valie Export

‘Im Zentrum meiner künstlerischen Arbeit steht der menschliche Körper als Informationsträger, als Signalträger von Bedeutung und Kommunikation. In diesem Sinne ist meine künstlerische Selbstdarstellung auch die Darstellung der Gesellschaft’.

2019 installierte VALIE EXPORT Fotografien ihrer zentralen Werke Asemia – Die Unfähigkeit, sich durch Mienenspiel ausdrücken zu können (1973) und Kausalgie(1973) in einem der Räume für Kunst auf La Ribaute.

Asemia – Die Unfähigkeit, sich durch Mienenspiel ausdrücken zu können
Vienna, 1973
Körper-Material-Interaktion

Auf einem Podest wird ein Vogel mit dünnen Schnüren befestigt. Ich kniee vor dem Vogel auf dem Podest und übergieße ihn mit flüssigem, heißem Wachs, dann übergieße ich meine Füße und meine linke Hand mit Wachs, die rechte Hand wird durch das Umstoßen des Wachsbehälters mit dem Kopf übergossen. Ich befreie mich dann – durch Ausschneiden der Hände mit einem Messer, welches ich mit dem Mund vom Podest aufgehoben habe und zum Ausschneiden – vom Mund gehalten – benütze. Rund um das Podest ist ein Kreis von Nägeln gezogen.

Ausgehend von einer spezifischen Krankheit der Kommunikation, der APRAXIE – als Mangel an Handlungsvermögen -, einer cerebralen Störung der assoziativen Verknüpfung im Bereich des Sensorischen oder Motorischen. Es ist die Unfähigkeit, Zeichen zur Verständigung mit anderen Personen zu geben (expressive Asemie) bzw. solche Zeichen zu verstehen (rezeptive Asemie).

Auf der zivilisatorischen Hochebene des Podestes spielt sich das Drama des Menschen als Bilder ab. Auf einer Ebene wie der Vogel erfährt er die Erfahrungen des Vogels. Der Mensch will frei sein, wie der Vogel fliegt. Diese Freiheit sucht er in der Kommunikation, diese Botschaft der Freiheit will er ausdrücken und mitteilen. Doch indem er seine Sehnsucht in Form gießt, in den geregelten Kode der verstehbaren Mitteilungen einzubetten versucht, erlischt die Botschaft ebenso wie der Vogel unter dem Wachs erlahmt, der stellvertretend das Drama der menschlichen Perspektive erleidet, so verhärtet sich auch die menschliche Motorik unter dem Wachs, erstarrt auch der Mensch zu einer leblosen Wachsfigur, die nichts mehr mitteilen kann, obgleich sie soviel mitteilen wollte. Der Mensch und der Vogel als Partner/ Teile einer anthropomorphen Plastik, die Skulptur (die bildende Kunst) als Erstarrung der visuellen Ausdruckskraft (der menschlichen Kommunikation), demonstrieren in den Spannungen zwischen den Materialien:

Vogel (Symbol der Phantasie und Freiheit), Wachs (Symbol der Leblosigkeit), Mensch, und in den Spannungen zwischen den Formen (Bewegung und Erstarrung) die Tragik der menschlichen Selbstdarstellung.

KAUSALGIE
Linz, 1973
Körper-Material-Interaktion

Der Schatten eines Mannes, der auf einem Hakenkreuz steht, fällt auf eine Wachsplatte. Das Wachs mit seiner Ausstrahlung der Formbarkeit, Weichheit stellt den Wunsch des Mannes dar, die Frau nach seinem Bilde formen zu können. Adipoceri: bei Leichen, die luftabgeschlossen liegen, entsteht wachsähnliches Fett sog. Leichenwachs. Die Umrisse des Schattens werden mit Feuer in das Wachs gebrannt, die Frau legt sich in diese Umrisse des eingebrannten Schattens. Dann umzäunt der Mann die nach seinem Bild geformte Frau mit elektrischem Draht, der an Nägeln aufgehängt ist, und von einer Batterie gespeist wird – Einfriedung. Der Draht beginnt zu rauchen und leicht zu glühen und signalisiert die Kausalgie: meine Körperwärme, meine eigene Wärme verändert das Wachs langsam, in das kalte Wachs fließt langsam mein Abbild.

Die Frau löst sich langsam aus ihrer Starre und bewegt sich auf die Grenzen des Schattens zum Leben außerhalb der Begrifflichkeit des Mannes hin. Der elektrisch geladene Glühdraht stößt sie ab und zurück. Sie lernt sich ihrer Selbst bewusst zu werden und wälzt sich über den Glühdraht. Die Schmerzen, die ihr dieser Befreiungsprozess verursacht, nimmt sie auf sich, denn besser ein freies Wesen zu sein, als eine Maske, ein Maskottchen.

Die Kausalgie, der schmerzhafte Prozess: der dunkle Schmerz der Unterdrückung und der helle Schmerz der Befreiung.

Für weitere Informationen
Thaddaeus Ropac

Originaltext Valie Export, 1973
Übersetzung von Gail Schamberger für die Installation in La Ribaute, Barjac, 2019